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Die Grenzen der Meinungsfreiheit
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Politische Korrektheit
Verhindert die freie, demokratische Meinungsbildung
11.01.2016

Im Münchner Merkur vom 11.1.2016 war diese kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff
der "Politischen Korrektheit" von einem emeritierten Romanistik-Professor zu lesen.
Fazit:
Politische Korrektheit versucht, wie ein Vormund den öffentlichen Gebrauch der Vernunft
durch Sprachregelungen einzuschränken. Sie behindert damit die freie, demokratische Meinungsbildung.
ÜBER POLITISCH KORREKTES DEUTSCH

Wie Wörter die Wirklichkeit vernebeln

Nazikeule. Lügenpresse. Gutmensch. In Deutschland ist ein Kampf um Worte ausgebrochen, der so heftig geführt wird wie lange nicht mehr. Aber welche Begriffe darf man heute benutzen - und welche nicht? Und was ist eigentlich politisch korrekte Sprache? Eine kleine Deutschstunde.
VON HELMUT BERSCHIN*

München - Das Wort "korrekt" steht an sich für eine positive Eigenschaft: Ein "korrekter Beamter" tut seine Pflicht und ist nicht bestechlich. Eine "korrekte Abrechnung" stimmt, und wer sich "sprachlich korrekt" ausdrückt, macht keine lautlichen, grammatischen und stilistischen Fehler. Sachlich bedeutet korrekt also "richtig" und in sozialer Hinsicht "einwandfrei". Niemand will aber heute "politisch korrekt" sein. Der Ausdruck wird - ähnlich wie "Gutmensch" - als distanzierend empfunden, ja abwertend.
Unter "politischer Korrektheit" - der Begriff wurde in den 1990er-Jahren aus dem amerikanischen Englisch (political correctness) übernommen - versteht man ein kommunikatives Verhalten, das in zweierlei Hinsicht auffällt: Einerseits werden gewisse politische Sachverhalte verschwiegen oder beschönigt, andererseits überdeutlich herausgestellt, propagandistisch ausgedrückt: eingehämmert.
Sprachlich herausgestellt wird im politisch korrekten Deutsch vor allem der Geschlechterunterschied (fachsprachlich: das Gender). Man soll nicht mehr sagen "die Bürger", sondern "die Bürger und Bürgerinnen", "Wähler und Wählerinnen", "Steuerzahler und Steuerzahlerinnen" usw. Bei diesen Doppelformen handelt es nicht um Anreden (hier würden ja die Frauen vor den Männern genannt), sondern um die abstrakte Bezeichnung einer Personengruppe, die üblicherweise aus Frauen und Männern besteht. Die Doppelform bringt also keinen Informationsgewinn. Das wissen auch die politisch Korrekten und ersparen sich deshalb bei der Aussprache oft die Endung -innen, was dann wie "Bürger und Bürger" klingt.
Die Doppelform wird aller dings vermieden, wenn die Personengruppe ein negatives Image hat: Auch Im politisch korrekten Deutsch ist nur von "Terroristen" oder ,,Verbrechern" die Rede, nie von "Terroristen und Terroristinnen" bzw. "Verbrechern und Verbrecherinnen". Lohnt es sich, darüber zu streiten, ob man als Gruppenbezeichnung "Bürger" verwendet oder "Bürger und Bürgerinnen"? Kaum; denn grammatisch sind beide Formulierungen richtig, und stilistisch darf jeder sich einfach oder umständlich ausdrücken. Aber die politische Korrektheit lässt eine Wahl überhaupt nicht zu und fordert die Doppelform, um so die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verdeutlichen. Wer sich im öffentlichen Sprachgebrauch nicht daran hält, wird (falls Mann) als "frauenfeindlich" angeprangert oder (falls Frau) als "unsensibel". Tatsächlich geht es hier aber nicht um Sprache und Gleichberechtigung, sondern um Macht, nach dem Grundsatz: Wer die öffentlichen Symbole bestimmt, hat die Herrschaft.
Für diesen Symbolzwang gibt es in der deutschen Literatur ein klassisches Beispiel:
den Geßler-Hut in Schillers Schauspiel "Wilhelm Tell" (1805). Der Habsburger Landvogt in der Schweiz, Hermann Geßler, lässt "zur Prüfung des Gehorsams" des Volkes auf einem Marktplatz seinen Hut auf eine Stange hängen, mit dem Befehl, diesen zu grüßen. Passanten, die sich weigern oder - wie Tell -
den Hut, "diesen Popanz auf der Stange", übersehen, werden verhaftet.
Über die wahre Gesinnung des Volkes macht Geßler sich keine Illusionen: "Ich hab den Hut nicht aufgesteckt, um die Herzen des Volks zu prüfen, diese kenn ich längst. Der Geßler-Hut soll vielmehr allen zeigen, wer die Macht hat: Ich hab ihn aufgesteckt, dass sie den Nacken mir lernen beugen. Das Unbequeme hab ich hingepflanzt, auf ihren Weg, dass sie drauf stoßen [und] sich unterwerfen.
Politische Korrektheit zielt auf Unterwerfung, genauer: symbolische öffentliche Unterwerfung. Aber wer unterwirft sich vor wem? Im Falle des Geßler-Hutes das Volk vor dem Landvogt.
Dem politisch korrekten Deutsch muss sich nur die politische Klasse beugen; die normalen Leute bleiben (noch) unbehelligt, ebenso Schriftsteller und Künstler: Die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Eva Wagner, kann in einem Interview in dieser Zeitung von sich als "Regisseur" sprechen, von "Aufgaben der Sänger" und ihr Regiekonzept auf die
gender-unkorrekte Formel bringen: "Man muss wissen, was man will". Auch die Operette "Der Zigeunerbaron" von Johann Strauß steht weiter auf dem Spielplan deutscher Theater, und der Dichter Günter Grass beschrieb einmal seine äußere Erscheinung mit "wie ein Zigeuner aus der Kaschubei [in Hinterpommern]". Im politischen Sprachgebrauch ist hingegen "Zigeuner" verpönt, der Duden versieht das Wort mit dem Wamhinweis, es werde als "diskriminierend" empfunden und empfiehlt die Bezeichnung ;,Sinti und Roma".
Sprachliche Geßler-Hüte hängen in Deutschland allerorten. Es ist schwer, die Übersicht zu behalten, weil laufend neue Hüte aufgehängt und alte abgehängt werden. Zum Beispiel galt in Wörterbüchern des letzten Jahrhunderts der Ausdruck "Schwule" für Homosexuelle als "salopp-abwertend"; inzwischen ist er salonfähig, es gibt Schwulenverbände, Schwulen-Bars und schwullesbische Kulturwochen.
Hingegen war das heute politisch unkorrekte Wort Asylant" früher korrekt: Es stammt aus der rechtsgeschichtlichen Literatur und bezeichnete jemanden, der das Asylrecht (das im Altertum Tempel gewährten und später Kirchen) in Anspruch nahm. Um 1975 kam dieser neutrale Fachbegriff in den allgemeinen Sprachgebrauch und wurde üblich - bis man, zehn Jahre später, seine diskriminierende Wirkung entdeckte und als Zeichen .ausländerfeindli.eher" Gesinnung wertete. Politisch korrekt wurde zunächst die bürokratische Bezeichnung "Asylbewerber", später abgelöst von "Asylsuchender, Schutzsuchender und neuerdings "Flüchtling", das von der Gesellschaft für deutsche Sprache' (GdfS) zum "Wort des Jahres 2015" gewählt wurde.
Allerdings - so die GfdS - "klingt Flüchtling für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig"; denn die Endung -ling habe einen negativen Beigeschmack (Eindringling, Emporkömmling, Schreiberling u.ä.). Alternativ denkende Menschen sagen deshalb nun "Geflüchtete(r)" start "Flüchtling". Für ihre sensiblen Ohren müsste Goethes Deutsch fürchterlich falsch klingen: Er verwendet nämlich "Flüchtling" im positiven Sinn - zum Beispiel "als Flüchtling fand [der französische Schriftsteller] Voltaire.in England beste Aufnahme" - und drückt mit einem anderen Wort auf -ling höchste Wertschätzung aus: ,,,Liebling".
Das Motiv solcher Umbenennungen liegt darin, ein mit negativen Assoziationen belastetes Wort durch ein unbelastetes zu ersetzen. Aber ändert ein neues Wort etwas an der alten Sache? Dass die frühere Gebühreneinzugszentrale (GEZ) der Rundfunkanstalten nun unter dem freundlichen Namen "Beitragsservice" schnüffelt, wird ihren Ruf nicht verbessern.
Man kann mit Sprache auch täuschen und lügen - das lernt schon ein Kind. Der Einfluss politisch korrekter Sprache auf das Denken ist deshalb eher schwach; es geht ihr, wie gesagt, um symbolische Macht.
Wer bestimmt in Deutschland den politisch korrekten Sprachgebrauch? Es gibt keine Korrektheitsbehörde, vielmehr ein Überwachungssystem, an dem viele Verbände, Gruppen und Personen mitwirken. Am stärksten engagiert sind die deutschen Sozialverbände, die in der Nationalen Armutskonferenz zusammengeschlossen sind und 2013 eine Liste "sozialer Unwörter" herausgaben.
Als Unwort gilt zum Beispiel die Ehrenamtspauschale; politisch korrekt müsse es heißen Ehrenamtseinkommensteuerpauschale um deutlich zu machen, dass nur Steuerzahler sie in Anspruch nehmen können. Nun gilt das für alle Pauschalen, aber die Sozialverbände sind der Meinung, dass Nichtsteuerzahler diskriminiert werden, weil sie nichts von der Steuer abziehen können: Eine ähnliche Logik liegt auch anderen "Unwörtem" zugrunde, bei denen der normale Deutschsprecher kaum Böses erkennen wird. Grundsätzlich können Tausende deutscher Wörter in einem bestimmten Zusammenhang von irgendjemand als "verletzend" empfunden werden. Zum Beispiel "Zirkus", das der bayerische Ministerpräsident Seehofer in dem Satz verwendete: "Was uns die griechische Regierung seit vielen Wochen bietet, ist Zirkus". Ein Zirkusdirektor fand das "herabwürdigend" und eine "Beleidigung für jeden gut geführten Zirkus, der von Ehrlichkeit und Präzision lebt". Nun hat Seehofer keinen wirklichen Zirkus gemeint, sondern das Wort im übertragenen Sinn von "Durcheinander" verwendet.
"Machen Sie viel Staub!"- diese taktische Regel des Feldmarschalls Rommel für den Wüstenkrieg, um den Gegner über die eigene Stärke zu verwirren, gilt auch im politisch korrekten Sprachgebrauch:
Vor lauter Wortstaub blickt man nicht mehr durch, die Symbole verdecken die Wirklichkeit.
Es geht dann um Wörter statt um Sachen.'Das mag, wie beim Wort "Zirkus" lustig oder kurios sein, im Ernstfall blockiert die politische Korrektheit aber das Denken.
Der Philosoph Immanuel Kant schrieb 1783 einen Zeitungsartikel mit dem Titel "Was ist Aufklärung?". Darin forderte er, sich "des eigenen Verstandes zu bedienen" und von "Vormündem" zu befreien. Für den Einzelnen allein sei dies allerdings schwierig, deshalb gehöre zur Aufklärung "die Freiheit [... ] von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen".
Politische Korrektheit versucht, wie ein Vormund diesen öffentlichen Gebrauch der Vernunft durch Sprachregelungen einzuschränken. Sie behindert damit die freie, demokratische Meinungsbildung.

*Helmut Berschin' ist emeritierter Professor für Romanistik. Er lebt in Regensburg und Tutzing.