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Der Euro wird überleben, bis Deutschland ruiniert ist
Gunnar Beck, Professor für Europa-Recht:
'Die Euro-Rettung ist ungesetzlich' -  Enteignung des Mittelstandes speziell in Deutschland
13.02.2013

Wer Gunnar Beck zuhört, kann den Glauben an eines der wichtigsten Prinzipien unserer Demokratie schnell verlieren: 'Der Rechtsstaat ist eine Schönwetterveranstaltung geworden', sagt der Rechtsprofessor an der University of London jüngst bei den Münchner Seminaren. Beck lehrt EU-Recht und beschäftigt sich mit der juristischen Auslegung der europäischen Integration. Seit der Finanzkrise, aber auch schon davor, hätten die verantwortlichen Politiker, Währungshüter und Richter, allen voran das Bundesverfassungsgericht, geltendes Recht stets so ausgelegt, dass es zu einer 'Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln' verkommen sei. 'Die Euro-Rettung ist ungesetzlich', sagt Beck und verweist dabei auf Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie hatte in der heißen Phase der Schuldenkrise vor zwei Jahren öffentlich eingeräumt: 'Wir mussten Gesetze brechen, um den Euro zu retten.' Beck, der auch schon als Rechtsberater beim EU-kritischen englischen Parlament gewirkt hat, dokumentiert die monierten Rechtsbrüche gleich an mehreren Beispielen: Da sind zum einen die Defizitregeln (maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr) und Schuldengrenzen (maximal 60 Prozent) aus dem für die Währungsunion maßgeblichen Maastricht-Vertrag 1992, die Griechenland, Belgien, Italien und Österreich in den nunmehr 13 Jahren seit Einführung des Euro immer, Deutschland fast immer und Frankreich immerhin in neun von 13 Jahren verletzt hätten.
'In der Euro-Zone ist der Gesetzesbruch zu einer schlechten Angewohnheit geworden, eine Art Wilder Westen für Regierungen und EU-Institutionen', findet Beck und zitiert die wichtigsten Passagen aus dem Maastricht-Vertrag und der Rechtsprechung dazu. Der Vorläufer zum heute gültigen Lissabon-Vertrag zur Währungsunion hatte schon damals, sieben Jahre vor Einführung des Euro, zu Verfassungsbeschwerden geführt. Es ging früher wie heute vornehmlich um die Sorge, im Zuge einer Währungsunion für die Schulden anderer Mitgliedsstaaten haften zu müssen. Um den Bedenken, insbesondere der Deutschen zu begegnen, wurde die sogenannte Nichtbeistandsklausel (No bail out) in den Vertrag eingefügt, die allerdings bis heute Zug um Zug umgangen wurde. Alle Beschwerden dazu beim obersten deutschen Gericht waren weitgehend wirkungslos.
Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts über mögliche unbegrenzte Aufkäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) steht noch aus. Doch da ist Beck gleichfalls pessimistisch: Das Verfassungsgericht werde zögern und dann irgendein 'unpassendes Argument' finden, warum das Anleihenprogramm in den geldpolitischen Aufgabenbereich der EZB falle. Beck beruft sich dabei auf Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der bereits angedeutet habe, dass man erst später im Jahr zu einer Entscheidung kommen werde - nach der Wahl oder dann, wenn die Politiker weitere uneinholbare Fakten geschaffen hätten.
'Nationale Regierungen, Gerichte, die EU-Kommission, der Rat und auch die allmächtige EZB sind alle willige Kollaborateure geworden in der ungesetzlichen Euro-Rettung. Es gibt keine Trennung der Gewalten mehr in der EU', ist der Professor aus London überzeugt, wohl wissend, dass er dabei praktisch alle Institutionen anschwärzt, die den Ruf der EU ausmachen.
Er entschuldigt sich auch nicht für die trockene und bisweilen zynische Interpretation der Fakten im Vortrag, sondern spitzt weiter zu: EZB-Präsident Mario Draghi, bei Beck 'Draghiavelli', nutze den 'ältesten aller Tricks', indem er Staatsschulden mit der Druckerpresse finanziere und diese fiskalpolitische Einmischung hartnäckig Geldpolitik nenne. 'Das ist wie einen Mann als Frau zu bezeichnen', so Beck. Dem Bundesverfassungsgericht wirft Beck 'mangelnde Urteilsfähigkeit' vor. Dem Gericht 'fehlt der Sachverstand und ganz und gar der Mut'. Die Richter hätten sowohl beim ersten Urteil zum Maastricht-Vertrag als auch bei Entscheidungen zu den Euro-Rettungsschirmen die Möglichkeit gehabt, der in den Verträgen explizit ausgeschlossenen Vergemeinschaftung von Schulden und der damit einhergehenden Gefährdung der nationalen Budgethoheit der Parlamente eine Grenze zu ziehen.
Stattdessen hätten die Richter bloß 'immer wieder den Anschein geweckt, eine rote Linie zu setzen' mit der steten Ansage: Der Integrationsprozess dürfe bis zum jeweils erreichten Punkt weitergehen, nicht weiter. 'Wenn die Regierung bei nächster Gelegenheit die rote Linie überschritt, zog das Gericht die Verteidigungsgrenze
einfach neu', beschwert sich Beck.
Und weil die Parlamente zunehmend Ablehnung gegenüber weiteren Rettungsmaßnahmen signalisieren, sei nun die EZB zur obersten Haftungsinstitution aufgebaut worden, ganz nach dem Vorbild des IWF. Die jüngste Politik der EZB 'gefährdet die Budgethoheit, weil die möglichen Verluste der Zentralbank in letzter Instanz von den Euro-Mitgliedern getragen werden müssten'. Dies würde Regierungen dazu zwingen, Ausgaben zu senken, Steuern zu erhöhen oder Verluste wegzuinflationieren, führt Beck weiter aus. Er persönlich rechne mit einem Anstieg der Inflation, was zur Enteignung des Mittelstandes speziell in Deutschland führen werde, wo die Staatsschulden wegen des hohen Haftungsanteils am deutlichsten steigen dürften. 'Der Euro, so viel scheint klar, wird überleben, bis Deutschland ruiniert ist.'
Weitere ökonomische Ausführungen verkneift sich der Rechtsprofessor und kehrt in seiner Schlussfolgerung zu juristischem Terrain zurück: 'Wenn Gerichte beschließen, klare und präzise Regeln oder ihre vorherigen Entscheidungen zu ignorieren, um die Politik von Regierungen zu rechtfertigen, wird Rechtsprechung zu Politik und der Rechtsstaat existiert nicht mehr.'
Simone Boehringer
Die Münchner Seminare sind eine gemeinsame Initiative der CESifo Group und der Süddeutschen Zeitung. Informationen im Internet unter:
www.cesifo-group.de/mucsem
Quelle: Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, den 07. Februar 2013, Seite 18