Unser Land - kontrovers | Zurück zur Titelseite |
Auf der offiziellen Homepage der Bundeskanzlerin kann man lesen: "Die Europa-Gesellschaft Coudenhove-Kalergi hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Europapreis 2010 ausgezeichnet. … Merkel würdigte zugleich das beständige Arbeiten der Europa-Gesellschaft für die europäische Idee und den europäischen Einigungsprozess. … Der Europapreis geht auf den Diplomaten, Philosophen und Publizisten Richard Coudenhove-Kalergi zurück. Dessen Familie war in mehreren europäischen Ländern verwurzelt. Im Jahr 1922 gründete Coudenhove-Kalergi die Paneuropa-Union, die älteste europäische Einigungsbewegung, der unter anderem Albert Einstein und Konrad Adenauer angehörten."
Richard Coudenhove-Kalergi wurde 1894 als Sohn des k. u. k. „Geschäftsträgers“ in Japan Heinrich von Coudenhove-Kalergi und seiner japanischen Frau Mitsuko Aoyama in Tokio geboren und war mit der österreichischen Schauspielerin Ida Roland-Klausner verheiratet.
1925 erschien seine programmatische Schrift "Praktischer Idealismus" in der er neben der Paneuropa-Idee auch seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen erläutert. Über diese Grundgedanken liest man auf den vorgenannten Seiten nichts. Die ECK-Österreich verteidigt dies damit, dass aufgrund seiner späteren Publikationen und Aktivitäten "eine Bewertung seiner Positionen und seiner Person …. nicht auf einzelne Frühwerke reduziert werden" sollte. Deshalb wurde dieses Buch im Gegensatz zu vielen anderen erst 2018 wieder neu aufgelegt. Da es aber nach Gründung der Paneuropa-Union veröffentlicht wurde, kann man die Pläne dieses "großen europäischen Visionärs" nicht einfach totschweigen, der lt. ECK-Österreich "ganz offensichtlich daran dachte, mit seiner Schrift eine Massenbewegung auszulösen." Bedenklich sind auch nicht seine durchaus plausiblen Begründungen für ein vereintes Europa und seine diesbezüglichen Aktivitäten bis zu seinem Tode 1972, sondern seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Wie soll die künfige europäische Gesellschaft aussehen? Wenn man das ganz und gründlich liest, könnte man sagen "zurecht in Vergessenheit geraten", wenn der Einfluss dieses Mannes bzw. der von ihm gegründeten Organisation auf die Spitzenpolitiker unserer Zeit nicht so groß (denn andernfalls würden sie wohl kaum ihre Preise entgegennehmen) und viele der von ihm geforderten Entwicklungen schon im Gange wären. Umsomehr, als damit eine solche Geheimnistuerei betrieben wird.
Im Gegensatz zu
Oswald Spengler, der den "Untergang
des Abendlandes" anhand des Schicksals vergangener Hochkulturen als
zwangsläufig darstellt, will Kalergi offensichtlich gezielt auf von ihm
durchaus richtig und plausibel vorhergesagte Entwicklungen hinarbeiten. Bereits
im Vorwort (1925, S. VI) schreibt er: "Diese Entwicklung wird kommen, wenn wir an sie
glauben und für sie kämpfen … statt tatenlos von besseren Möglichkeiten zu
träumen, wollen wir also tätigen Anteil nehmen an der Entwicklung der Welt" Mit
"Wir" meint er ja wohl zunächst die von ihm gegründete Organisation
und ihre Preisträger?
Wie soll diese Entwicklung vor sich gehen?
Im ersten Teil von "Adel", der bereits 1920 entstanden ist, muß man zunächst einige Definitionen verarbeiten, um das weitere zu verstehen.
In einem ersten Schritt definiert er
zwei Menschentypen, die er als "geborene
Rivalen und Gegner" (S.13)
sieht: den rustikalen und den urbanen Menschen.
Rustikalmensch = Inzuchtprodukt (S.20) = Junker/Landadliger (S.12)
= Willensaristokratie (S.13): konservativ (S.10), pflichttreu, energisch, standhaft, konservativ und beschränkt
(S.13)
Wesenszüge: Treue, Pietät, Familiensinn. Kastengeist,
Beständigkeit, Starrsinn, Energie,
Beschränktheit, Macht der Vorurteile, Mangel an Objektivität, Enge des
Horizontes (S.20), Tatkraft (S.21)
Urbanmensch = Mischling (S.20) = Intellektueller (S.12) =
Geistesaristokratie (S.13): fortschrittlich (S.10), fortschrittlich, skeptisch,
geistreich, vielseitig, wandelbar (S.13)
Wesenszüge: Charakterlosigkeit, Hemmungslosigkeit,
Willensschwäche, Unbeständigkeit, Pietätlosigkeit, Treulosigkeit, Objektivität,
Vielseitigkeit, geistige Regsamkeit, Freiheit von Vorurteilen und Weite des
Horizontes (S.21)
Jede Gruppe hat also positive und negative Eigenschaften. Seine Sympathie gilt aber eindeutig dem intellektuellen Stadtmenschen: "Herrscht die Literatenkaste, muß die Gewalt dem Geiste weichen: Demokratie siegt über Feudalismus, Sozialismus über Militarismus." (S.13) "Die Hoffnung auf den Geist wächst: und mit ihnen ein neuer Adel." (S.33) Immerhin räumt er ein: "Der vollendete Aristokrat ist zugleich Aristokrat des Willens und des Geistes, aber weder Junker noch Literat. Er verbindet Weitblick mit Willensstärke, Urteilskraft mit Tatkraft, Geist rnit Charakter." (S.14)
Doch wie findet man diese seltene Kombination des "vollendeten Aristokraten"? Das kommt etwas später (S.28).
"Inzucht stärkt den Charakter, schwächt den Geist - Kreuzung schwächt den Charakter, stärkt den Geist. Wo Inzucht und Kreuzung unter glücklichen Auspizien zusammen-treffen, zeugen sie den höchsten Menschentypus, der stärksten Charakter mit schärfstem Geist verbindet. Wo unter unglücklichen Auspizien Inzucht und Mischung sich begegnen, schaffen sie Degenerationstypen mit schwachem Charakter, stumpfem Geist." (S.22)
Sicher war im bewußt, dass diese glücklichen Auspizien nach der Vererbungslehre relativ selten sind. Trotzdem meint er:
"Der Mensch der fernen Zukunft wird Mischling sein." (S.22)
Das ist ja in der heutigen Zeit der Globalisierung durchaus einleuchtend. Vermischung von Stadt und (Um)Land gibt es schon lange. Aber dann macht er einen seltsamen Sprung. Er beschränkt sich nicht auf die Vermischung von Münchnern, Berlinern oder Wienern (die ohnehin schon eine Mischrasse sind) mit Niederbayern, Franken, Sachsen, Tirolern, sondern:
"Die eurasisch-negroide Zukunftsrasse … wird die Vielfalt der Völker durch eine Vielfalt der Persönlichkeiten ersetzen." (S.23)
Wie kommt er gerade zu dieser Mischung? Die Antwort bleibt er schuldig.
Zunächst definiert er einen zweiten Gegensatz (S.24):
Okzident = Heidentum = Tatkraft, Tapferkeit, Größe, Freiheit, Macht, Ruhm und Ehre (also die Eigenschaften des Rustikalmenschen; s.a. S.31)
Orient = Christentum = Liebe, Milde, Demut, Mitleid und Selbstverleugnung (also Eigenschaften der Urbanzivilisation, S.25)
Dass sich im Jahr 2015 in Deutschland Heidentum mit den Idealen des Orient verbindet, konnte er wohl nicht ahnen. Oder?
"Heidentum ist ein Symptom kultureller Jugend - Christentum ein Symptom kulturellen Alters" (S.26)
In der Folge (S.27) weist er darauf hin: "die ganze europäische Ethik wurzelt im Judentum. Alle Vorkämpfer einer religiösen oder irreligiösen christlichen Moral, von Augustinus bis Rousseau, Kant und Tolstoi, waren Wahljuden im geistigen Sinne; Nietzsche ist der einzige nicht-jüdische, der einzige heidnische Ethiker Europas. Die prominentesten und überzeugtesten Vertreter christlicher Ideen, die in ihrer modernen Wiedergeburt Pazifismus und Sozialismus heißen, sind Juden." Auf S.25 betont er ""Urbanzivilisation und Mischung begünstigen die Entwicklung christlicher Mentalität." Andererseits: "Was die Juden von den Durchschnitts-Städtern hauptsächlich scheidet, ist, daß sie Inzuchtmenschen sind. Charakterstärke verbunden mit Geistesschärfe prädestiniert den Juden in seinen hervorragendsten Exermplaren zum Führer urbaner Menscheit." (S.28)
Wie passt das zusammen? "Dadurch, daß sie aus einer internationalen Religionsgemeinschaft, nicht aus einer lokalen Rasse hervorgegangen sind, sind die Juden das Volk der stärksten Blutmischung; dadurch, daß sie sich seit einem Jahrtausend gegen die übrigen Völker abschließen, sind sie das Volk stärkster Inzucht. So vereinigen, wie beim Hochadel, die Auserwählten unter ihnen Willensstärke mit Geistesschärfe." (S.52)
Also der "vollendete Aristokrat" von S.14? Den entdecken wir auf S.41.
Der zweite Teil beginnt mit einer Feststellung, die zum damaligen Zeitpunkt gerade offenbar wurde und heute als zutreffend bezeichnet werden kann: "Die Feudalaristokratie ist im Verfall, die Geistesaristokratie im Werden.". (S.31).
Dann aber eine interessante Aussage: "Die Zwischenzeit nennt sich demokratisch, wird aber in Wahrheit beherrscht von der Pseudo-Aristokratie des Geldes." (S.31). Auch dem könnte man zustimmen. Aber Demokratie als "Zwischenzeit"?
Dazu auf S.32: "Demokratie beruht auf der optimistischen Voraussetzung, ein geistiger Adel könne durch die Volksmehrheit erkannt und gerwählt werden." Da schwingt eine gewisse Skepsis mit. Deshalb meint er auch: "Diese Entwicklung und damit das Chaos moderner Politik wird erst dann ein Ende finden, bis eine geistige Aristokratie die Machtmittel der Gesellschaft an sich reißt und zum Segen der Allgemeinheit verwendet."
Also wieder der "vollendete Aristokrat" von S.14? Nein, wir sind ja erst im Jahr 1925: "Eine entscheidende Etappe zu diesem Ziel bildet der russische Bolschewismus." (S.33).
Aber immerhin: "Der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus um das Erbe des besiegten Blutadels ist ein Bruderkrieg des siegreichen Hirnadels, ein Kampf zwischen individualistischem und sozialistischem, egoistischem und altruistischem, heidnischem und christlichem Geist. Der Generalstab beider Parteien rekrutiert sich aus der geistigen Führerrasse Europas: dem Judentum." (S.33) Also doch.
Aber zurück zur Demokratie: "Demokratie entstand aus Verlegenheit: nicht deshalb, weil die Menschen keinen Adel wollten, sondern deshalb, weil sie keinen Adel fanden. Sobald sich ein neuer, echter Adel konstituiert, wird Demokratie von selbst verschwinden." (S.36)
Aber wie will er das erreichen?
"Schule und Presse sind die beiden Punkte, von denen aus die Welt sich unblutig, ohne Gewalt erneuern und veredeln ließe. Die Schule nährt oder vergiftet die Seele des Kindes; die Presse nährt oder vergiftet die Seele des Erwachsenen. Schule und Presse sind heute (1925!) beide in den Händen einer ungeistigen Intelligenz: sie in die Hände des Geistes zurückzulegen, wäre die höchste Aufgabe jeder idealen Politik." (S.37)
Dem ist man heute (2015) ja schon ein Stück nahegekommen. Aber in wessen Händen sind sie heute? Auch die nächste Feststellung ist durchaus noch aktuell:
"Heute ist Demokratie Fassade der Plutokratie: weil die Völker nackte Plutokratie nicht dulden würden, wird ihnen die nominelle Macht überlassen. während die faktische Macht in den Händen der Plutokraten ruht. In republikanischen wie in monarchischen Demokratien sind die Staatsmänner Marionetten, die Kapitalisten Drahtzieher." (S.39) Nach seiner Meinung war der Blutadel sogar gerechter, "während die Klasse, die heute herrscht, alles Verantwortungsgefühles, aller Kultur und Tradition bar ist. Vereinzelte Ausnahmen ändern nichts an dieser Tatsache." (S.40)
Auch eine weitere Feststellung ist durchaus zutreffend: "In dieser Bevorzugung egoistischer Tüchtigkeit gegenüber altruistischer, materialistischer gegenüber idealistischer liegt das Grundübel der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur." (S.41)
Allerdings stehen seine weiteren Ausführungen dazu im Widerspruch.
"Wie die Aristokratie des Blutes und des Geistes, so befindet sich auch die des Geldes gegenwärtig in einer Verfallsperiode." (S.41). "Die Söhne und Enkel jener großen Unternehmer … erschlaffen zumeist in Wohlleben und Untätigkeit." Es "beginnt eine neue Schieber-Plutokratie die alte Unternehmer-Plutokratie zu zersetzen und zu verdrängen. Während mit der Bereicherung des Unternehmers der Volkswohlstand wächst, sinkt er mit der Bereicherung des Schiebers." (S.42)
Das ist geradezu prophetisch. Aber wie soll es weitergehen?
"Will die Menschheit vorwärtsschreiten, braucht sie Führer, Lehrer, Wegweiser." (S.44).
Das hatten wir ja inzwischen schon, hat aber auch nicht geklappt. Also wie stellt Kalergi sich das vor?
"Von der europäischen Quantitätsmenschheit, die nur an die Zahl, die Masse glaubt, heben sich zwei Qualitätsrassen ab: Blutadel und Judentum. Voneinander geschieden, halten sie beide fest am Glauben an ihre höhere Mission, an ihr besseres Blut, an menschliche Rangunterschiede. In diesen beiden heterogenen \/orzugsrassen liegt der Kern des europäischen Zukunftsadels: im feudalen Blutadel, soweit er sich nicht vom Hofe, im jüdischen Hirnadel, soweit er sich nicht vom Kapital korrumpieren ließ. … Hier wächst die Gemeinschaft zwischen Lenin, dem Mann aus ländlichern Kleinadel, und Trotzki, dem jüdischen Literaten, zum Symbol: hier versöhnen sich die Gegensätze von Charakter und Geist, von Junker und Literat, von rustikalem und urbanem, heidnischem und christlichem Menschen zur schöpferischen Synthese revolutionärer Aristokratie." (S.45)
Ist es da noch ein Wunder, dass ein anderer Österreicher eine Gegenstrategie entwickelte?
Doch nun kommt ein Widerspruch:
"An politischen Talenten aber ist der Adel reicher als das Bürgertum. Denn, um Kenntnisse zu erwerben, genügt ein Einzelleben: um Instinkte zu züchten, bedarf es des Zusammenwirkens vieler Generationen." (S.46) Was ja eigentlich für die "Inzucht" spräche.
Was folgert er daraus? "Die politischen Fähigkeiten des Hochadels sind nicht zuletzt auf seine starke Blutmischung zurückzuführen. Denn diese nationale Rassenmischung weitet vielfach seinen Horizont und paralysiert so die üblen Folgen gleichzeitiger Kasten-Inzucht." (S.47). Deshalb "könnte, vielleicht, der Adel der Vergangenheit entscheidenden Anteil nehmen am Aufbau des Adels der Zukunft" (S.48).
Deshalb war wohl auch Otto von Habsburg im Präsidium der Gesellschaft, heute ist es Prinz Nikolaus von Liechtenstein.
Aber nicht nur er: "Hauptträger des korrupten wie des integren Hirnadels: des Kapitalismus, Journalismus und Literatenturns, sind Juden. Die Überlegenheit ihres Geistes prädestiniert sie zu einem Hauptfaktor zukünftigen Adels." (S.49) Doch hoffentlich nur die integren? Wie hält man das auseinander?
Zunächst stellt er klar: "Nicht das Judentum ist der neue Adel; sondern das Judentum ist der Schoß, aus dem ein neuer, geistiger Adel Europas hervorgeht; der Kern, um den sich ein neuer, geistiger Adel gruppiert." (S.51)
Und dann der Ausblick: "Der Adelsmensch der Zukunft wird weder feudal noch jüdisch, weder bürgerlich noch proletarisch: er wird synthetisch sein. Die Rassen und Klassen im heutigen Sinne werden verschwinden, die Persönlichkeiten bleiben. … an die Stelle des einstigen Erbadels tritt ein Zufallsadel; statt Adelsrassen adelige Individuen. … So wird der neue Zuchtadel der Zukunft nicht hervorgehen aus den künstlichen Normen menschlicher Kastenbildung, sondern aus den göttlichen Gesetzen erotischer Eugenik .… Nur den edelsten Männern wird die Verbindung mit den edelsten Frauen freistehen und umgekehrt - die Minderwertigen werden sich mit den Minderwertigen zufrieden geben müssen. " (S.55/56) Denn "Es ist nicht möglich, daß die gleichen Menschen die ungeheuere physische Arbeit leisten, die zur Ernährung, Kleidung und Behausung ihrer Generation erforderlich - und zugleich die ungeheure Geistesarbeit, die zur Schaffung und Erhaltung einer Kultur nötig ist." (S.106) Also eine Zweiklassengesellschaft aus lauter Individualisten, wenige Herrenmenschen und viele Minderwertige, das nennt sich dann "gerechte Ungleichheit" (S.57).
Was nun die Aufgabe dieses neuen, geistigen Adels sein soll, erfährt man in dem 1922 verfassten zweiten Teil "Apologie der Technik".
Er beginnt mit einer interessanten Feststellung: "Der moderne Kulturmensch fristet ein elenderes Leben als alle Tiere der Wildnis." (S.61) Begründung: "Durch die Übervölkerung hat der Mensch die Freiheit des Raumes verloren: überall stößt er an seine Mitmenschen und deren Interessen - so wurde er zum Sklaven der Gesellschaft. Durch die Auswanderung nach Norden hat der Mensch die Freiheit der Zeit verloren: die Muße. Denn das rauhe Klima zwingt ihn zu unfreiwilliger Arbeit, um sein Leben zu fristen: so wurde er zum Sklaven der nordischen Natur" (S.64)
Und dann die These: "Bei dem heutigen Stande der Ethik und Technik wäre das höchste, was Politik erreichen könnte, die VeraIlgemeinerung der Unfreiheit, Armut und Zwangsarbeit." (S.69) Um das zu ändern, "muß der Mensch den Zwangsstaat ausbauen, um die Ethik zu fördern - die Zwangsarbeit ausbauen, um die Technik zu fördern." (S.72)
Das sind ja schöne Aussichten. Aber die tatsächliche Entwicklung gibt ihm recht.
"Denn die Arbeitslast, die zur Fütterung und Wärmung der vielzuvielen Europäer nötig ist, ist groß; der Arbeitsertrag, den das rauhe und nicht genügend fruchtbare Europa auch bei intensivster Ausnützung abwirft, relativ klein, so daß auch bei gerechtester Verteilung auf jeden Europäer sehr viel Arbeit und sehr wenig Lohn fiele." (S.99) "Europa wird sich entscheiden müssen, entweder seine Bevölkerung zu dezimieren und Selbstmord zu begehen - oder durch großzügige Steigerung der Produktion und Vervollkommnung derTechnik zu genesen." (S.101)
Also: Wachstum, Wachstum …. Aber wer übt den Zwang aus. Doch wohl der in Teil 1 geschilderte Zukunftsadel.
Als Endziel postuliert er zwar: "Ersatz der Sklavenarbeit durch Maschinenarbeit; Erhebung der Gesamtmenschheit
zu einer Herrenkaste, in deren Dienst ein Heer von Naturkräften in Maschinengestalt arbeitet. (S.107) und
"Auflösung der modernen Großstadt
und die Zurückführung des Menschen in die Natur" (S.109). "Es wird eine Zeit kommen, in der die
Menschen nicht mehr verstehen werden, wie es einmal möglich war, in den
Steinlabyrinthen zu leben, die wir heute als moderne Großstädte kennen."
(S.111). "Es ist das Kulturziel der Technik, einst allen Menschen die Lebensmöglichkeiten zu bieten.
über die heute jene Millionäre verfügen." (S.113)
Das ist ja grundsätzlich erstrebenswert. Aber wie soll das erreicht werden?
"Die optimistische, lebensbejahende Askese des technischen Zeitalters bereitet ein Reich Gottes auf Erden vor" (S.115) "Nur der Blick auf das kommende Zeitalter der Kultur gibt der leidenden und kämpfenden Menschheit des technischen Zeitalters die Kraft, den Kampf mit den Naturgewalten bis zum Siege fortzusetzen" (S.136) "Die jetzige Menschheit steht im Dienste der kommenden; wir säen, auf daß andere ernten; unsere Zeit arbeitet, forscht und ringt - damit eine künftige Welt in Schönheit erstehen kann." (S.137) "Der Arbeitsstaat ist die letzte Etappe des Menschen auf seinem Wege in das Kulturparadies der Zukunft." (S.138)
Also statt der Vertröstung auf das Jenseits, dem Warten auf den Messias, der nie kommen darf, weil dann das ganze Konstrukt zusammenbricht, eine scheinbar begrenzte "Etappe", während der der selbsternannte Zukunftsadel die Minderwertigen zu Askese und immer mehr Arbeit antreiben kann. Man muß nur der Mehrheit einreden, dass sie sich dem Zukunftsadel zugehörig fühlt, obwohl dieser nach den o.g. Definitionen nur eine kleine Minderheit sein kann. Dazu hat er auch ein paar konkrete Lösungen zur Hand:
"Ein ideales
Programm für den Ausbau des Arbeitsstaates: ….daß an die Stelle der Wehrpflicht eine allgemeine, obligatorische Arbeitsdienstpflicht tritt."
(S.139) "Während Europa
den Arbeitsstaat ausbaut, darf es
nie vergessen, den Kulturstaat
vorzubereiten. DieTräger der ethischen Entwicklung: Lehrer und Priester,
Künstler und Schriftsteller - bereiten den Menschen auf den großen Festtag
vor, der das Ziel der Technik ist."
(S.147)
"Diese massenpädagogische
Mission, die im Kino schlummert, zu
läutern und auszubauen, ist eine der größten und verantwortungsvollsten
Aufgaben der heutigen Künstler" (S.118)
"Durch die Emanzipation wird das weibliche
Geschlecht, das bisher teilweise enthoben war, für den technischen Krieg
mobilisiert und eingereiht in die Armee der Arbeit" (S.119)
"Die Emanzipation der Asiaten bedeutet ihren
Eintritt in die europäisch-amerikanische
Armee der Arbeit und ihre Mobilisierung für den technischen Krieg."
(S.119)
Teil 3 erschien 1924 unter dem Titel "Pazifismus"
Dabei geht er von der Annahme aus, dass "der nächste europäische Krieg diesen Erdteil nicht schwächen,
sondern vernichten würde." (S.155) "Sicher ist jedoch, daß in einem neuen europäischen Kriege der Sieger,
in politischer, wirtschaftlicher und nationaler Hinsicht schwer geschädigt aus
dem Kampfe hervorgehen würde, während das besiegte Volk für immer vernichtet
wäre." (S.184) Das war bekanntlich nicht ganz der Fall. Er kritisiert die
Pazifisten, die "glauben, die Welt
durch Predigen zu ändern - statt durch Handeln" (S.160). "In seinen Methoden muß sich aber der
praktische Pazifismus vom ethischen Pazifismus emanzipieren." (S.161) Er
muß "die Tatsache anerkennen, daß in
der Tagespolitik die Gewaltlosigkeit der Gewalt nicht gewachsen ist."
(S.162) "Die neuen Pazifisten sollen … die Gefahren, die dem Frieden drohen, weder
übersehen noch übertreiben - sondern: bekämpfen." (S.163)
"Ein Pazifismus,
der Befreiungskriege unmöglich macht, ergreift damit die Partei der
Unterdrücker." (S.167) Der politische Pazifismus Europas muß aber "seine Ziele beschränken und unterscheiden
lernen, was er nur wünschen - und was er auch erreichen kann. Ohne seine Kräfte
zu überspannen, muß er zunächst in seinern eigenen Erdteil um den Dauerfrieden
ringen und es den Amerikanern, Briten, Russen und Asiaten überlassen, in den ihnen
zugefallenen Weltteilen den Frieden zu erhalten." (S.170)
Die Briten zählt er also offensichtlich nicht zu Europa - sehr weitsichtig.
Dafür definiert er ein "Realpolitisches Friedensprogramm"
(S.171ff)
"Die russische Frage wurzelt heute (1924) in der Tatsache.
daß an der offenen Ostgrenze Europas eine Weltmacht steht, deren Führer es als
ihr Ziel bekennen, das bestehende System in Europa gewaltsam zu stürzen. Um
dieses ZieI zu erreichen, unterstützen sie die soziale Irredenta Europas mit
Geld und hoffen bald in die Lage zu kommen, diesen Propagandageldern beim Ausbruch europäischen Revotution Sowjettruppen nachsenden zu
können. … Rußland organisiert eine
starke Armee, um mit deren Hilfe die Weltkarte, wenigstens in Europa und Asien, gründlich zu ändern. Sobald diese Armee
stark genug sein wird, wird sie
zweifellos gegen Westen marschieren" (S.171)
In dieser Einschätzung stimmte er also mit dem anderen Österreicher überein. War diese demzufolge gar nicht so falsch? Was für Folgerungen zieht er daraus?
"Das Pan-Europa-Programm ist der einzige Weg,
diese beiden drohenden Kriege mit realpolitischen Mitteln zu verhindern und den
europäischen Frieden zu sichern."
(S.172)
"Die beiden
Elemente dieser Lösung sind:
A. Das konservative
Element des territorialen Status quo, das die bestehenden Grenzen stabilisiert
und so den drohenden Krieg verhindert;
B. das revolutionäre
Element der allmählichen Beseitigung der Grenzen in strategischer, wirtschaftlicher
und nationaler Hinsicht, das die Keime künftiger Kriege zerstört."
(S.173)
Das wird ja auch tatsächlich versucht. Das weitere geht allerdings von der damaligen Situation mit der Sowjetunion unter Stalin aus und wäre deshalb nicht mehr relevant, wenn sich nicht der Umgang mit dem heutigen Russland an den alten Verhaltensmustern orientieren würde.
Einige Forderungen gelten aber auch noch heute, sind oder
werden bereits umgesetzt:
"Durch
internationale Vereinbarung soll die chauvinistische Hetze gegen fremde
Nationen in SchuIe und Presse
rücksichtslos bekämpft werden." (178)
"Eine der wesentlichsten
Aufgaben des Pazifismus ist die Einführung einer internationalen Verständigungssprache. … dafür kommen nur Esperanto und Englisch in Frage"
(S.178)
"Kampf und
Kampfeswille sind Schöpfer und Erhalter der menschlichen Kultur. Das Ende des Kampfes und das Absterben der
menschlichen Kampfinstinkte wäre gleichbedeutend mit dem Ende und Absterben der Kultur und des
Menschen. … Der Sport ist sehr
geeignet, die rnenschlichen,
insbesondere die männlichen Kampfinstinkte, von der
Kriegseinstellung abzulenken." (S.182)
"Boykott und Blockade treten an die Stelle des Krieges." (S.183)
Anlässlich des 300 Jahr-Jubiläums der Freimaurer brachte der „Kurier“ am 21. Juni 2017 ein doppelseitiges Interview mit dem österreichischen Großmeister Georg Semler. Auf die Frage, was die Freimaurerei seit 1717 bewegt habe, sagt Semler unter anderem: „… die Paneuropabewegung ist zutiefst freimaurerisch.“ Die EGC bestreitet das zwar, und verweist darauf, dass Kalergi zwar Mitglied war, aber bald wieder ausgetreten sei. Wie er selbst sagte: "da dessen bloß platonisches Interesse für Paneuropa die Bewegung mehr belastet als gefördert hätte." Vermutlich, weil er seine Vorstellungen dort nicht sofort durchsetzen konnte. Aber immerhin Brüder im Geiste.