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Die Grenzen der Meinungsfreiheit
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Zu stolz zur Einsicht? -  Zu den Vorwürfen der ESZ
Wie steht es mit der Meinungsfreiheit?
20.01.2011

Trotz aller Klarstellungen wiederholt die ESZ beharrlich die bekannten Unterstellungen und Halbwahrheiten. Auf die eigentliche Intention meines Leserbriefs, Kritik an der Zensur im Internet, wird überhaupt nicht eingegangen. Wenn sie glaubt, meinen Rücktritt als Rechtfertigung für ihre Angriffe mißbrauchen zu können, muß ich widersprechen.

Es wirft ein schlechtes Bild auf die Meinungsfreiheit in unserem Land, wenn einem selbst nach 15 Jahren Einsatz für mehr Mitwirkung der Bürger an den demokratischen Entscheidungsprozessen, Aufdeckung verkrusteter Machtstrukturen und Eintreten für mehr Meinungsvielfalt und Transparenz aufgrund einer einzigen, bewußt falsch ausgelegten Äußerung Sympathien für totalitäre Staatsformen unterstellt werden. Das ist absurd. Herr Grossmann hat mich richtig verstanden und den Mut gehabt, dies öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Ansonsten überwiegt die Zustimmung hinter vorgehaltener Hand. Ein beschämendes Stimmungsbild für eine freiheitliche Demokratie.

Obwohl es mir ausdrücklich nicht um eine Wertung ging, muß ich zu dem immer wieder angesprochenen Vergleich mit dem chinesischen Nobelpreisträger einiges klarstellen. Natürlich kann man jemand, der sich gegen eine Militärdiktatur oder gegen ein Einparteiensystem wendet, nicht mit jemand in einen Topf werfen, der vielleicht das Gegenteil will. Das widerspräche meinen o.g. Freiheitsidealen und war deshalb auch nicht meine Absicht. Für Unterstellungen Dritter brauche ich mich aber nicht zu entschuldigen.
Ich hatte bei meinem Vergleich aber auch andere wie Michail Chodorkowski im Auge. Wenn das Vorgehen gegen ihn auch politisch motiviert sein mag, darf man sich doch fragen, ob sich jemand, der es in wenigen Jahren zu einem Milliardenvermögen gebracht hat, als Märtyrer der Freiheit eignet.

Was ich zum Ausdruck bringen wollte, konnte man in derselben Zeitung (SZ v. 15.Januar, S.14) nachlesen, wo ein Landeskenner interessante Informationen zum Verständnis Chinas liefert: "Wir beharren darauf, die Welt durch unsere westliche Optik zu betrachten. Keine andere Tradition oder Geschichte kann sich mit unserer vergleichen. Unsere ist allen überlegen, wir werten die anderen, soweit sie von unserer abweichen, ab. Das zeugt nicht von unserer Weisheit, sondern von unserer Ignoranz. ... Unsere gegenwärtige Einstellung gegenüber China ist eine Funktion von Arroganz und Ignoranz."

Über alle Unterschiede im Einzelfall hinaus, auf die ich nicht eingegangen bin, geht es mir um die Feststellung, daß offensichtlich jedes System zum Selbsterhalt einen Schutzschild aufbaut, zu dem auch Zensur gehört. Ich habe das an einem schnell nachvollziehbaren Beispiel aufgezeigt. Da es um System-kritiker geht, war dies nur anhand von solchen möglich. Dabei darf man diesen Begriff nicht mit den "guten" assoziieren, sondern muß ihn neutral und wertfrei als Bezeichnung für jeden verstehen, der sein System kritisiert und evtl. verändern will. Diese Intention wird nun völlig in den Hintergrund gedrängt. Angesichts der Behinderung von Google in China und dem Vorgehen gegen Wikileaks mußte ich feststellen, daß auch bei uns bei der Eingabe des besagten Stichworts in Google alleine auf den ersten 5 Seiten 64 Sperrvermerke auftauchen. Nun weiß der SZ-Kommentator, daß dort "der Holocaust geleugnet und die NS-Diktatur verklärt werde." Woher weiß er das, wenn man diese Seiten nicht aufrufen kann? Hätte ich es können, und träfe seine Behauptung zu, hätte ich meinen Leserbrief vielleicht gar nicht geschrieben. Dabei befinde ich mich in guter Gesellschaft. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer Studie festgestellt, dass der Vorschlag, problematische Inhalte im Internet durch Sperrverfügungen unsichtbar zu machen, verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind nur dann zu rechtfertigen, wenn es sich um Aufrufe zur Gewaltanwendung handelt. Muß ich wirklich erwähnen, daß ich immer Wert darauf lege, Auseinandersetzungen verbal und gewaltfrei zu führen und Andersdenkende nicht persönlich zu diffamieren? Gewalt darf kein Bestandteil der politischen Auseinandersetzung sein. Das ist für mich die Grenze, die nicht überschritten werden darf.
Diese zugegeben komplexen Überlegungen gehen offensichtlich über das Abstraktionsvermögen mancher Mitmenschen hinaus. Sie sollten sich dann aber wenigstens geschmacklose Äußerungen wie "wirre Weltanschaung", "fehlende politische Grundkenntnisse" oder "total verirrt" verkneifen und sich an Goethe halten, der im west-östlichen Divan schrieb:
"Und wo sich die Völker trennen,
Gegenseitig im Verachten,
Keins von beiden wird bekennen,
Daß sie nach demselben trachten."


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