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Die Dummen
der Krise
Bald wird es keine Sparer mehr geben, weil sich sparen nicht mehr
lohnt
8. Dezember 2008
Nach der jüngsten Leitzinsentscheidung der Europäischen
Zentralbank ist endgültig klar: Die Sparer sind die Dummen in dieser
Krise. Für kurzfristig angelegte Gelder wird es bald kaum mehr als drei
Prozent Zinsen geben. Staatsanleihen rentieren schon jetzt teilweise schlechter,
weil viele Menschen aus Angst um ihr Geld aus Aktien, Rohstoffen und anderen
Anlagen in diese vermeintlich letzte, sichere Investmentkategorie geflüchtet
sind. In Amerika werden die Bondrenditen sogar künstlich niedrig gehalten.
Die US-Notenbank will gezielt Anleihen aufkaufen, um auf diese Weise mehr
Geld unters Volk zu bringen.
Die Inflationsraten gehen zwar momentan fast weltweit zurück, die Preissteigerungen
für die meisten Güter und Dienstleistungen liegen aber immer noch
bei mehr als zwei Prozent. Wer Geld auf der hohen
Kante hat und es nicht an den unsicheren Börsen verzocken will, kann
also gerade mal sein Kapital erhalten. Viel mehr ist nicht zu
holen. Es sei denn, man ist selbst Bank. Die Geldhäuser können
sich schon seit Monaten sehr günstig und fast unbegrenzt bei ihren Zentralbanken
refinanzieren. An die Kunden geben sie die günstigen Konditionen nicht
oder nur in einem sehr geringen Maße weiter. Begründung: Schlechte
Zeiten erhöhen das Ausfallrisiko der Schuldner.
Während sich also für Banken, wohlgemerkt Verursacher dieser Finanzkrise,
die (Verdienst-)Spanne zwischen Soll und Haben tendenziell erhöht, werden
die Chancen für Sparer, ihr Vermögen vor den Auswüchsen der
Krise zu retten, immer schlechter. Wer nicht ins Risiko gehen will, dem bleibt
nur eine Alternative: sein Geld sofort ausgeben.
Und dies scheint auch
Hauptsinn der laufenden Geldpolitik. Dass durch die damit einhegehende
horrende Aufblähung der Geldmenge die Deflation schnell in Inflation
umschlagen kann, ist jedenfalls fest einkalkuliert. Eine Inflation glauben
die obersten Geldmanager nämlich besser im Griff zu haben als
eine Deflation. Der Grund: Es gibt mehr Schuldner als Sparer auf der WeIt.
Die teils hohen Defizite in westlichen Industriestaaten, allen voran in den
USA, sind in inflationären Zeiten leichter abzutragen als in einer Deflation.
Aus Sparersicht freilich verhält es sich genau umgekehrt: Sie profitieren
von sinkenden Preisen und leiden an steigenden, vor allem wenn eben wie derzeit
die Zinsen nicht mitsteigen.
Falls es tatsächlich gelingt, die laufende
Krise durch immer neue Milliardenkredite zu überwinden, haben die Sparer
auf jeden Fall verloren. Und sie haben
die Zeche mitbezahlt für all die Schuldner, die über ihre Verhältnisse
gelebt haben. Die nächste Krise ist damit schon programmiert:
Denn wer heute lernt, dass Sparen weniger bringt
als auf Pump zu leben, wird künftig Letzteres tun, sei er
Privatmensch, Regierungsverantwortlicher oder Entscheider in einem Unternehmen.
Eine verschuldete Gesellschaft ist aber viel anfälliger
für Krisen als eine mit Ersparnissen. Das zeigt sich bereits
heute sehr deutlich: Amerika hat keine Reserven mehr, weil es schon vor der
Krise jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat. China dagegen,
das in den vergangenen Jahren über seine Exportwirtschaft hohe Gewinne
erwirtschaftet hat, kann zunächst einmal seine billionenschwere Devisenreserve
nutzen, um die Rezession einigermaßen zu überwinden.
Was noch schwerer wiegt: Wer hohe Schulden hat,
ist abhängig von den Gläubigern und kann nicht mehr seinen eigenen
Weg gehen. Viele Schwellenländer mussten diese Erfahrung
in den 1980er und 90er Jahren machen, als Weltbank und Internationaler Währungsfonds
(IWF) ihnen den Weg zur Genesung minutiös vorschrieben. Heute betteln
zum Beispiel mit der Ukraine, Ungarn oder der Türkei sogar eine Reihe
von Ländern um Darlehen vom Währungsfonds, die bis vor einem Jahr
noch als aufstrebende Vorzeigestaaten galten. Und fast täglich werden
es mehr. Schon bald kann die Kreditnot auch Kerneuropa und die USA treffen,
die sich derzeit noch von ihren mächtigen Zentralbanken Geld schaffen
lassen. Die internationale Zinslast steigt schneller - aber bald gibt es keine Sparer mehr, die für eine Rückzahlung
der Schulden einstehen könnten.
Simone Boehringer - Süddeutsche Zeitung vom 8.12.2008