Unser Land
- kontrovers |
Zurück zur Titelseite |
Es ging gegen den Zeitgeist, vor
sieben Jahren eine Keynes-Gesellschaft zu gründen. „Anfangs hatten wir
die Sorge, dass es ein Altherrenklub werden würde“, gibt Harald Hagemann
zu. „Jetzt aber hat das Interesse krisenbedingt stark zugenommen“, sagt der
Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Hohenheim.
Er hat sich primär theoriegeschichtlich John Maynard Keynes (1883 bis
1946) genähert, dem brillanten, aber auch umstrittenen britischen Ökonomen,
der in der Weltwirtschaftskrise das volkswirtschaftliche Denken auf den Kopf
stellte. Seit den siebziger Jahren jedoch geriet keynesianisches Denken in
Misskredit. „Keynes wurde nur noch wenig gelehrt“, sagt Hagemann, „und wenn,
dann verfälscht.“ Das zu ändern, darum bemüht sich Jürgen Kromphardt, der Gründer und Spiritus Rector der Keynes-Gesellschaft. Trotz der Konjunkturpakete, die in der Krise aufgelegt wurden, macht er sich keine Illusionen über eine keynesianische Wende in Deutschland. „Das makroökonomische Denken ist völlig verlernt worden“, klagt Kromphardt. Der emeritierte Professor der TU Berlin war von 1999 bis 2004 Mitglied des Sachverständigenrats, benannt von den Gewerkschaften, und hielt dort einsam die Fahne des nachfrageorientierten Denkens hoch. Seinen Nachfolger, den Würzburger Ökonomen Peter Bofinger, bedauert er: „Der arme Herr Bofinger sitzt doch ziemlich isoliert.“ Immerhin hat die große Wirtschaftskrise das Interesse an Keynes wiederbelebt. Es erschienen einige neue Bücher, etwa vom Keynes-Biographen Robert Skidelsky der Titel „The Return of the Master“. Für die amerikanischen Ökonomen trifft der Titel des Buches jedoch eher zu als für die deutschen. In den Vereinigten Staaten gibt es einflussreiche „New Keynesians“, etwa den IWF-Chefökonomen Olivier Blanchard oder die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz. Das Feld der deutschen Keynesianer erscheint dagegen verödet. Auf der Jahresversammlung der Keynes-Gesellschaft in Chemnitz, ihrer sechsten Konferenz, fehlen bekannte Namen. Dort tummeln sich überwiegend Ökonomen von Fachhochschulen und Universitäten aus der Provinz und von gewerkschaftsnahen Instituten. An den zwei Tagen der Konferenz ertönt in immer neuen Varianten ein Klagelied über das verfehlte deutsche Geschäftsmodell: zu viel Export, zu schwache Binnennachfrage, zu viel Sparen, zu wenig Konsum. Die Folge seien die „globalen Ungleichgewichte“. Statt über hohe Außenhandelsüberschüsse zu jubeln, müssten diese bestraft werden und nicht allein die Defizitländer im Euro-Raum, etwa die Griechen, an den Pranger gestellt werden, fordert Reinhold Moser von der FH Trier. Dabei kann er sich auf Keynes’ Plan zur Bretton-Woods-Konferenz 1944 berufen. Die Deutschen müssten erkennen, dass „Exportmeister“ ein zweifelhafter Titel sei. Dazu passt der sarkastische Ausspruch von Krugman, der spottete: „Der Handel von Amerika mit China ist fair. Die liefern vergiftetes Spielzeug, wir liefern toxische Papiere.“ Deutschland jedoch liefere Autos und Maschinen an Amerika und erhalte dafür fragwürdige Vermögenspositionen, die stark an Wert eingebüßt haben, kritisiert Moser. Zuletzt setzt er ein paar radikale Thesen drauf: Nicht nur den Export will er senken, sondern auch die fatal hohe Sparquote begrenzen. Dazu müsse „dem Einzelnen die Möglichkeit zur Ersparnis und zur Vermögensbildung versperrt werden“. Ein zweites Referat zur privaten Altersvorsorge mittels Riester-Rente schlägt in dieselbe Kerbe. Obwohl es immer mehr Alte und weniger arbeitende Junge gibt, hält es Rudolf Zwiener vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie für volkswirtschaftlich schädlich, wenn eine Kapitalreserve für künftige Rentner gebildet wird. Dieses Geld fehle dem Konsum, das schwäche die wirtschaftliche Entwicklung. Die Professoren, die für eine Kapitaldeckung plädierten, seien von der Versicherungswirtschaft gekauft. Im letzten Referat der Konferenz präsentiert ein Doktorand aus Chemnitz einen abenteuerlichen Vorschlag: Er hält einen „Tod des Rentiers“ für wünschenswert. Gemeint ist nicht der nordische Hirsch, sondern der von Zinseinkünften (Renten) lebende Geldvermögenbesitzer. Über dessen „Euthanasie“ hatte schon Keynes eine dunkle Passage geschrieben. Der Doktorand wirbt nun für eine Art „Schwundgeld“, das mit einer permanenten Inflationssteuer alle monetären Ersparnisse auffrisst. Nicht alle Teilnehmer reagieren begeistert. „Wir wollen der Jugend eine Chance geben“, sagt Harald Hagemann und verdreht dabei die Augen. „Unter dem Label ‚keynesianisch‘ kommt vieles daher, zum Teil auch ziemlich extreme, heterodoxe Ansichten“, erklärt er seufzend. Philip Plickert |