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Bekenntnisnation "Zusammenland"
NZZ kritisiert "Bekenntnismedien"
16.02.2024

Ein Jahr danach: Nach dem Artikel "Die Einheitsfront der Medien" vor einem Jahr spricht die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) erneut Klartext:

Auf ins Zusammenland! Die deutschen Bekenntnismedien trommeln das Volk zusammen und entfernen sich von ihrem journalistischen Auftrag.
Deutsche Medienhäuser vereinen sich gegen die AfD in der Kampagne «Zusammenland».

Deutschland ist eine seltsame Demokratie. Fast wirkt, als sei sie immer darauf bedacht, dass alle möglichst dicht beieinanderstehen. Je weniger Opposition, desto besser. Alles ist auf harmonischen Einklang angelegt. Natürlich ist man für Vielfalt. Aber das heisst noch lange nicht, dass man sich vielfältige Meinungen wünschen würde. Die Hauptsache ist,dass die Masse zusammenbleibt und das Volk in ein und dieselbe Richtung marschiert.

«Zusammenland» heisst die Kampagne verschiedener Medienhäuser – darunter «Die Zeit», «Süddeutsche Zeitung», «Tagesspiegel» und «Handelsblatt». Gemeinsam mit rund 500 Unternehmen, Verbänden und Stiftungen sagen sie: «Dumpfer Populismus? Nein danke! Die sogenannte ‹Remigration› unserer Freundinnen und Nachbarn, Kolleginnen? Ganz sicher nicht. Und Faschismus? Nie wieder!» Die Kampagne bezieht sich auf ein Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam, bei dem angeblich ein grossangelegter Plan zur Vertreibung von Migranten verhandelt worden sein soll. Direkt angesprochen wird die AfD nicht, aber es heisst in der Anzeige: «Deutschland braucht keine Alternative zur Freiheit und Vielfalt.» In Anspielung auf die anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei denen die AfD laut Umfragen stark wachsen könnte, heisst es: «Dieses Jahr zählt: Gegen Hass und Spaltung.»

Warum ist es problematisch, wenn sich Medien gemeinsam mit einem Fussballverein (BVB), einem Verlag (C. H. Beck) und einem Paketversand (DHL) zusammentun, um Hass zu bekämpfen und die Vielfalt zu beschwören? Es mag für Verlage, die dem Aktivismus frönen, altmodisch und allzu orthodox klingen, aber: Der kritische Journalismus steht an der Seitenlinie. Wenn Millionen von Menschen besorgt auf die Strasse gehen und gegen die AfD protestieren, ziehen Journalisten nicht mit Transparenten im Umzug mit, sondern mit Block und Kugelschreiber. Wer hingegen Teil einer Bewegung wird, und mag sie noch so gut und moralisch integer wirken, hat bereits den kritischen Abstand verloren, den es braucht, um unabhängig zu berichten.

Die deutschen Medien verbrüdern sich aber nicht nur mit den Demonstranten auf der Strasse und mit der deutschen Wirtschaft, sie werden auch zu Regierungsaktivisten. Denn im Grunde ist die Kampagne nur eine Übersetzung von Regierungspolitik. Der grüne Vizekanzler Robert Habeck kündigte für dieses Jahr eine Entscheidung an, die grösser sei als das Wahlergebnis einer Partei: «Es ist die Entscheidung, gelingt es, den Rechtsradikalismus, den Faschismus in Deutschland zurückzudrängen, in seine Schranken zu weisen.» Deshalb sei es wichtig, für die «demokratischen Parteien» zu stimmen und eine Gegenbewegung zu entfachen. «Demokratische Parteien», darauf haben sich die meisten Journalisten und Politiker in Deutschland geeinigt, hat nichts mit «demokratisch gewählt» zu tun. Es heisst im Wesentlichen: alle Parteien, ausser die AfD.

Der Geschäftsführer der Wochenzeitung «Die Zeit», Rainer Esser, erklärt dem NDR, man habe überlegt, «dass wir auch ein kleines Scherf bei dieser grossen Bewegung beitragen müssen, um möglichst viele Menschen zu erreichen und sie zu stärken bei ihrem Commitment für die Demokratie.» Andrea Wasmuth, Geschäftsführerin des «Handelsblatts», sagt: «Aus meiner Sicht hat das überhaupt nichts mit journalistischer Unabhängigkeit zu tun, zu sagen, man ist für Vielfalt, man ist für Meinungsfreiheit.»

Wunsch und Wille, Teil einer Bewegung zu sein, deuten darauf hin, dass diese Verlage ihre Funktion in der Demokratie nicht mehr verstehen. Sie scheinen nicht eine unabhängige und kritische – auch kommentierende – Begleitung der Gegenwart zu beabsichtigen; sie suchen vielmehr das einstimmige Bekenntnis der Guten. Ein Bekenntnis, das «eigentlich nur jeder unterstützen» kann, wie sich die Geschäftsführerin des «Handelsblatts» ausdrückt. Auch dies schwingt bei einer solchen Bewegung leicht mit: Wer abseitssteht, macht sich verdächtig.

Für Medien gehört dieses Abseitsstehen allerdings zum Job. Ihr Dienst für die Allgemeinheit und für die Demokratie besteht in der unbequemen Rolle, nicht mitzulaufen.

Jetzt, wo sich die deutsche Bekenntnisnation wieder versammelt, wirkt das Land ein wenig wie im Jahr 2015. Damals bekannten sich die Journalisten mit den Politikern gemeinsam zur Willkommenskultur – die «Bild» startete sogar eine Refugees-Welcome-Kampagne. Heute zieht man gemeinsam ins «Zusammenland».