Unser Land - kontrovers | Zurück zur Titelseite |
Ein Jahr danach: Nach dem Artikel "Die Einheitsfront der Medien" vor einem Jahr spricht die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) erneut Klartext:
Auf
ins Zusammenland! Die deutschen Bekenntnismedien trommeln das Volk
zusammen und entfernen sich von ihrem journalistischen Auftrag.
Deutsche Medienhäuser vereinen sich gegen die AfD in der Kampagne «Zusammenland».
Deutschland ist
eine seltsame Demokratie. Fast wirkt, als sei sie immer
darauf bedacht, dass alle möglichst dicht beieinanderstehen.
Je weniger Opposition, desto besser. Alles ist auf
harmonischen Einklang angelegt. Natürlich ist man für Vielfalt. Aber
das heisst noch lange nicht, dass man sich vielfältige
Meinungen wünschen würde. Die Hauptsache ist,dass die Masse zusammenbleibt und
das Volk in ein und dieselbe
Richtung marschiert.
«Zusammenland»
heisst die Kampagne verschiedener Medienhäuser –
darunter «Die Zeit», «Süddeutsche Zeitung», «Tagesspiegel»
und «Handelsblatt». Gemeinsam mit rund 500
Unternehmen, Verbänden und Stiftungen sagen sie: «Dumpfer
Populismus? Nein danke! Die sogenannte ‹Remigration›
unserer Freundinnen und Nachbarn, Kolleginnen?
Ganz sicher nicht. Und Faschismus? Nie wieder!» Die
Kampagne bezieht sich auf ein Treffen von Rechtsradikalen
in Potsdam, bei dem angeblich ein grossangelegter
Plan zur Vertreibung von Migranten verhandelt
worden sein soll. Direkt angesprochen wird die AfD nicht, aber
es heisst in der Anzeige: «Deutschland braucht keine
Alternative zur Freiheit und Vielfalt.» In Anspielung
auf die anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und
Brandenburg, bei denen die AfD laut Umfragen stark
wachsen könnte, heisst es: «Dieses Jahr zählt: Gegen Hass und
Spaltung.»
Warum ist es
problematisch, wenn sich Medien gemeinsam mit einem
Fussballverein (BVB), einem Verlag (C. H. Beck) und einem
Paketversand (DHL) zusammentun, um Hass zu bekämpfen und
die Vielfalt zu beschwören? Es mag für
Verlage, die dem Aktivismus frönen, altmodisch und allzu
orthodox klingen, aber: Der kritische Journalismus steht an der
Seitenlinie. Wenn Millionen von Menschen besorgt auf die Strasse gehen und gegen die AfD protestieren, ziehen
Journalisten nicht mit Transparenten im Umzug mit, sondern mit
Block und Kugelschreiber. Wer hingegen Teil einer Bewegung
wird, und mag sie noch so gut und moralisch integer wirken,
hat bereits den kritischen Abstand verloren, den es braucht,
um unabhängig zu berichten.
Die deutschen
Medien verbrüdern sich aber nicht nur mit den Demonstranten
auf der Strasse und mit der deutschen Wirtschaft, sie
werden auch zu Regierungsaktivisten. Denn im Grunde ist die
Kampagne nur eine Übersetzung von Regierungspolitik.
Der grüne Vizekanzler Robert Habeck kündigte für
dieses Jahr eine Entscheidung an, die grösser sei als das
Wahlergebnis einer Partei: «Es ist die Entscheidung, gelingt es, den
Rechtsradikalismus, den Faschismus in Deutschland
zurückzudrängen, in seine Schranken zu weisen.»
Deshalb sei es wichtig, für die «demokratischen Parteien» zu
stimmen und eine Gegenbewegung zu entfachen.
«Demokratische Parteien», darauf haben sich die meisten
Journalisten und Politiker in Deutschland geeinigt, hat nichts mit
«demokratisch gewählt» zu tun. Es heisst im Wesentlichen:
alle Parteien, ausser die AfD.
Der
Geschäftsführer der Wochenzeitung «Die Zeit», Rainer Esser, erklärt
dem NDR, man habe überlegt, «dass wir auch ein kleines
Scherf bei dieser grossen Bewegung beitragen müssen, um
möglichst viele Menschen zu erreichen und sie zu stärken bei
ihrem Commitment für die Demokratie.» Andrea Wasmuth,
Geschäftsführerin des «Handelsblatts», sagt: «Aus
meiner Sicht hat das überhaupt nichts mit journalistischer Unabhängigkeit zu tun, zu sagen, man ist
für Vielfalt, man
ist für Meinungsfreiheit.»
Wunsch und
Wille, Teil einer Bewegung zu sein, deuten darauf hin, dass diese
Verlage ihre Funktion in der Demokratie nicht mehr verstehen.
Sie scheinen nicht eine unabhängige und kritische –
auch kommentierende – Begleitung der Gegenwart zu
beabsichtigen; sie suchen vielmehr das einstimmige
Bekenntnis der Guten. Ein Bekenntnis, das «eigentlich nur
jeder unterstützen» kann, wie sich die Geschäftsführerin
des «Handelsblatts» ausdrückt. Auch dies schwingt bei
einer solchen Bewegung leicht mit: Wer abseitssteht,
macht sich verdächtig.
Für Medien
gehört dieses Abseitsstehen allerdings zum Job. Ihr Dienst für
die Allgemeinheit und für die Demokratie besteht in der
unbequemen Rolle, nicht mitzulaufen.
Jetzt, wo sich die deutsche Bekenntnisnation wieder versammelt, wirkt das Land ein wenig wie im Jahr 2015. Damals bekannten sich die Journalisten mit den Politikern gemeinsam zur Willkommenskultur – die «Bild» startete sogar eine Refugees-Welcome-Kampagne. Heute zieht man gemeinsam ins «Zusammenland».